DC-Bindung-Erwachsene
Auszüge aus dem Buch:
Auch alte Wunden können heilen von Dami Charf - 
 

Bindung in Liebesbeziehungen (ab Seite 84)

Im Folgenden geht es um die Auswirkungen der Bindungsmuster, die wir in unserer frühen Kindheit ausbilden und dann später in unsere Liebesbeziehungen einbringen. Vieles davon wurde im Hinblick auf die Kinder schon angesprochen - und es begleitet uns noch als Erwachsene.
Die Erinnerung sitzt tief in unserem impliziten Gedächtnis, in dem wir Verhaltensmuster, Erwartungen und Repräsentationen für Situationen gespeichert haben - ohne dass wir bewusst Zugang dazu hätten. Manchmal können wir nur aus unserem Beziehungsleben als Erwachsene Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Bindung zu unseren Eltern verlaufen ist. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir unsere Bindungsmuster erforschen und die impliziten Erinnerungen ins Bewusstsein holen. Erst wenn uns diese zugänglich sind, können wir anfangen, Veränderungen in Richtung einer sicheren Bindung in Gang zu setzen.
Es ist eine hohe Kunst, in Beziehungen zu lernen, nicht alles persönlich zu nehmen. Nach meiner Einschätzung haben 90 Prozent der Reaktionen, die wir in Beziehungen zeigen, nichts mit unserem Partner zu tun, sondern ergeben sich aus unserer Geschichte.
In einer Liebesbeziehung gibt es zwei Faktoren, die wir erkennen und mit denen wir umgehen lernen müssen, um nicht immer wieder die gleichen Erfahrungen zu machen:

  1. In jeder Liebesbeziehung werden unsere frühen Prägungen und Bilder aktiviert. Daraus ergibt sich, dass unsere Vorstellungen davon, wie eine glückliche Beziehung aussehen und sich anfühlen sollte, nicht immer mit dem übereinstimmt, was wir in einer Beziehung tatsächlich erleben. Das liegt nicht nur an unseren Partnern, sondern eben auch an uns selbst.
  2. Hinzu kommen die vollkommen unrealistischen Beziehungsmodelle, die durch Filme, Lieder und Bücher an uns herangetragen werden. Nicht umsonst enden die meisten Liebesfilme nach der ersten gemeinsam verbrachten Nacht. Zudem muss sich eine ganze Generation neu verorten zwischen dem Gedanken, für immer glücklich mit jemandem zusammenzuleben, und der Lebensabschnittspartnerschaft.

Bindungsmuster gehören zu den stabilsten Mustern überhaupt. Das bedeutet, dass sie nicht leicht zu verändern sind und im Laufe unseres Lebens konstant bleiben, wenn wir nicht an ihnen arbeiten. Schauen wir uns also an, welche Auswirkungen die frühkindlichen Bindungsprägungen im Einzelnen auf unser Bindungsverhalten im Erwachsenenalter haben.

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Menschen mit sicheren Bindungsmustern gehen davon aus, dass alles gut gehen wird. Sie haben diese Überzeugung nicht, weil sie die Realität verdrängen, sondern weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass es so ist. Mit dieser positiven und zugewandten Grundhaltung ist es ihnen möglich, entspannt Kontakt herzustellen, Nähe und Intimität zuzulassen und dann wieder aus dem Kontakt zu gehen. Sie haben gelernt, dass die andere Person auch dann da ist, wenn sie gerade nicht anwesend ist. Diese Objektpermanenz macht es ihnen leicht, auch allein sein zu können und ein eigenes Leben zu haben, ohne sich getrennt zu fühlen. Sie können sich entspannen - im Kontakt und auch dann, wenn sie für sich sind. Der Partner ist präsent, und sie müssen sich nicht ständig rückversichern, dass er noch da ist. Solche Menschen können gut mit sich allein sein und sich selbst wertschätzen, sind aber auch gern mit anderen Menschen verbunden und holen sich Unterstützung, wenn sie diese brauchen. Ihr elementares Lebensgefühl ist es, verbunden zu sein und bei Bedarf Unterstützung zu bekommen. Sie genießen das Leben, auch wenn es manchmal hart ist. Durch die bessere Selbstregulation sind sicher gebundene Menschen in der Lage, mit Stress umzugehen, und sie können auch ihre Ängste gut regulieren. Das Gefühl einer sicheren Basis ermöglicht Neugier und Lust, die Möglichkeiten des Lebens zu erforschen. Menschen mit sicherem Bindungsmuster haben keine Angst vor Konflikten, weil sie wissen, dass diese zu bewältigen sind und zu noch größerer Vertrautheit führen. Ein Konflikt wird nicht immer als trennend erfahren, sondern als etwas, das zum Leben dazugehört — nicht angenehm, aber manchmal unumgänglich. Bei Paaren, die eine sichere Verbindung leben, gibt es häufig ein starkes Wir, das aus zwei starken Ichs besteht. Man kann beobachten, wie die Partner sich auch in öffentlichen Räumen über den Raum hinweg anschauen und den Kontakt mit Blicken aufrechterhalten. Auch berühren sich solche Paare häufiger, und sei es nur, dass der eine im Vorbeigehen die Schulter des anderen streift.
Menschen mit sicherer Bindung haben keine Angst vor Intimität und können einander nahe sein, ohne sich selbst in dieser Nähe zu verlieren. Sie stärken ihre Beziehung durch gemeinsam erlebte Nähe, intime Blicke in die Augen, körperliche Nähe und Zuwendung. Sie haben den Bindungstanz gelernt und tanzen ihn mit Selbstverständnis und Liebe. Sie können sich selbst emotional gut regulieren. Dadurch ist ihr Verhalten für ihre Umwelt vorhersehbar.
Ein wichtiger 'Teil sicherer Bindung ist die Fähigkeit, zu spielen und in eine andere Welt einzutauchen. Spiel aktiviert unser Bindungssystem und kann es auf eine leichte und schöne Art stärken. Spielen, sich kabbeln, miteinander lachen, das alles sind Merkmale einer lebendigen Beziehung, in der Menschen beieinander sind, weil sie sich lieben, und nicht, weil sie sich davor fürchten, allein zu sein. 

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Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil wirken in ihrer Partnerschaft oft abweisend. Die Bedeutung von Beziehung wird heruntergespielt oder negiert. Es besteht ein starkes Autonomiebedürfnis, kombiniert mit Schwierigkeiten, um Unterstützung zu bitten oder sich verletzlich zu zeigen. Dadurch fühlen sich ihre Partner häufig einsam und haben das Gefühl, an der emotionalen Distanz des anderen zu verzweifeln.

Menschen mit diesem Bindungsstil gehen oft sehr rational an das Leben heran. Sie sind stark von ihrer linken Gehirnhemisphäre geprägt und analysieren auch Situationen, die eher da. für geeignet wären, Gefühle zu zeigen. Der Verstand ist für sie eine der wichtigsten Überlebensressourcen überhaupt. Sie haben gelernt, dass sie sich nicht auf jemand anderen verlassen können und dass das Bedürfnis nach Nähe oft mit Verletzungen einhergeht.

Es ist nicht so, dass Menschen mit diesem Bindungsstil nicht emphatisch sein könnten, sie haben nur kein allzu großes Interesse daran. Meist haben sie auch wenig bis gar keinen Zugang zu ihrem Körper und ihren Gefühlen. Fragt man sie, wie es ihnen geht und was sie fühlen, antworten sie meist aus dem Verstand heraus oder erklären, dass sie es nicht wüssten.

Oft sagen diese Menschen auch, sie könnten sich kaum an ihre eigene Geschichte erinnern. Dieses Nicht-Erinnern reicht weit über die ersten Lebensjahre hinaus, an die sich normalerweise niemand erinnert. Wir wissen bis heute nicht, ob es sich bei diesem Mangel an Erinnerungsvermögen um eine Verweigerung der Erinnerung handelt oder ob er dadurch entstanden ist, dass die Betroffenen nur wenige mit Emotionen verbundene Erfahrungen gemacht haben.

Grundsätzlich ist festzuhalten: Je mehr Gefühle durch eine Situation oder ein Ereignis ausgelöst werden, desto besser prägt sich die betreffende Situation ein. Wenn man versucht, sich an die eben erst vergangene Woche zu erinnern, fallen einem meist nur noch ein paar wenige Dinge ein. Dies werden Ereignisse sein, die mit starken Emotionen verbunden sind. Das zeigt, wie das Gedächtnis arbeitet.

Darüber hinaus spielt für den Mangel an Kindheitserinnerungen vermutlich eine Rolle, dass in einem emotional kalten Elternhaus Kinder selten gefragt werden, wie sie sich fühlen oder was sie erlebt haben. Doch auch das Erzählen von Erlebnissen, Gefühlen und Erfahrungen - die sogenannte Narration - führt dazu, dass diese sich besser im Gedächtnis einprägen. Kinder, die in emotionaler Kälte aufgewachsen sind, haben dieses Interesse an ihrer Person meist nur selten erfahren. Dadurch haben sie gelernt, dass ihr Innenleben nicht von Bedeutung ist, und räumen diesem auch bei anderen Menschen oft keinen ausreichenden Stellenwert ein. Sie haben nicht gelernt, ihr eigenes Inneres zu reflektieren und wahrzunehmen, was dazu führt, dass sie häufig ein vermindertes Selbsterleben haben und der innere Beobachter verkümmert ist.

Menschen mit dem unsicher-vermeidenden Bindungsmuster leben in einer Blase und fühlen sich nicht mit anderen Menschen verbunden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie keine Beziehung wollen. Sehr häufig leben sie in Partnerschaften. Allerdings halten sie ihre Partner innerlich auf Abstand und verleugnen, dass diese ihnen viel bedeuten. Außerdem reicht ihnen oft eine »virtuelle« Beziehung - es ist gut für sie, zu wissen, dass da jemand ist, doch die Person muss nicht im selben Raum sein. Sobald sie sich gegängelt fühlen oder zu Beziehungsgesprächen genötigt, »mauern« diese Menschen und ziehen sich innerlich zurück. Für den Partner werden sie in diesem Augenblick unerreichbar.

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass dieser innere Rückzug mehr aus Not geschieht als aus Berechnung. Konflikte und Kontaktanforderungen haben oft eine innere Überflutung zur Folge, die nicht mehr reguliert werden kann. Menschen mit unsicher-vermeidendem Bindungsmuster sind sogenannte Autoregulierer, das heißt, sie ziehen sich nach Stress am liebsten zurück, um sich selbst zu regulieren und den Stress zu verarbeiten,

Bei einem Beziehungskonflikt gestattet der Partner diesen Rückzug oft nicht und erzwingt eine Auseinandersetzung.

Je emotionaler diese ist, desto schwieriger wird es. Wenn sich Menschen mit diesem Bindungsmuster nicht räumlich zurückziehen können, tun sie es oft innerlich. Sie werden dann emotional unzugänglich, was den Konflikt noch mehr eskalieren lässt.

Für Menschen, die in ihrer frühen Kindheit diesen Bindungsstil entwickelt haben, ist es äußerst riskant, sich noch einmal zu trauen und nach Kontakt zu fragen. Sie fühlen sich dabei in einem Maße, das für andere Menschen kaum nachzuvollziehen ist, ausgeliefert und verletzlich. Jede Form von echter Nähe lässt die alten Verletzungen wieder fühlbar werden. Deshalb verzichten sie meist darauf, ihre Höhle zu verlassen.

Als Partner können Menschen mit unsicher-vermeidendem Bindungsmuster viel Freiheit bieten. Sie stellen selten Forderungen und neigen auch nicht zum Nörgeln. Sie sind wunderbare Kumpel und werten selten. Bei Beziehungsgesprächen zeigen sie keine Emotionen, was den Vorteil haben kann, dass man ihnen alles erzählen kann, ohne dass sie ein Drama daraus machen. Da es ihnen wichtig ist, ihren Freiraum zu haben, sie aber trotzdem gern die Sicherheit einer Beziehung genießen, sind Partnerschaften zweier Menschen mit diesem Muster oft sehr dauerhaft. Sie leben gemeinsam nebeneinander, und beide können damit ausgesprochen zufrieden sein. Wie immer gilt, dass die »Gefahr« für die Beziehung dann lauert, wenn ein Partner anfängt, sich zu verändern. 

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Im Gegensatz zum Namen dieses Bindungsstils sind Menschen, die ihn ausgebildet haben, als Erwachsene nicht ambivalent im klassischen Sinne, sondern eher unsicher und verstrickt. Durch Eltern, die nur unregelmäßig zur Verfügung standen, hat sich bei ihnen die Besorgnis oder Angst herausgebildet, ob auf andere wirklich Verlass ist. Ihrem Bedürfnis nach einem sicheren und konstanten Kontakt wurde in der Kindheit nie entsprochen. Deshalb besteht es im Erwachsenenalter weiter, und sie übertragen es auf den Partner. Gleichzeitig wird aber die Enttäuschung schon vorweggenommen - Menschen mit diesem Muster gehen davon aus, dass ihr Bedürfnis nach tiefer Verbundenheit ohnehin nicht gestillt werden kann. $o entsteht häufig ein Teufelskreis mit einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Die starken Wünsche und Vorstellungen, die auf den Partner oder die Partnerin gerichtet werden, wirken nicht selten abschreckend, und das Gegenüber zieht sich zurück.

Das Bindungssystem dieser Menschen ist ständig »hyper-on«”, also sehr stark hochgefahren. Das bedeutet, dass es anspringt, sobald ein Mensch den Raum betritt. Bei unsicher-ambivalent gebundenen Menschen richtet sich die innere Aufmerksamkeit dann sofort auf die andere Person aus. Es ist für Menschen mit diesem Beziehungsmuster fast unmöglich, bei sich selbst zu bleiben, wenn jemand anderer im Raum ist. Sie verlieren sich dann in der anderen Person und können kaum noch sagen, was sie selbst wollen oder brauchen.

Am schlimmsten ist es, wenn dieses Bindungsmuster auf einen Partner mit einem vermeidenden Bindungsstil trifft. Hier kommt dann oft eine Spirale gegenseitiger Enttäuschung in Gang, die ohne Hilfe nur schwer zu stoppen ist.

Da sich Bindungsmuster im Unbewussten abspielen und ausagiert werden, ohne dass der betroffenen Person klar ist, was in der Beziehung passiert, kommt ein unsicher-ambivalent gebundener Mensch in seiner inneren Wahrnehmung immer zu kurz. Im Außen dagegen kann es sein, dass sein Partner oder seine Partnerin ihn als extrem anspruchsvoll und fordernd erlebt. Jeden inneren Rückzug des anderen empfinden diese Menschen in der Partnerschaft als bedrohlich und reagieren dementsprechend,

Für Menschen mit diesem Bindungsstil, der auch als ängstliches Bindungsmuster bezeichnet wird, ist es bedrohlich, wenn der Partner sich zurückzieht - im Gegensatz zum vermeidenden Typ, der Annäherungen als bedrohlich empfindet. Oftmals kann man dies als Außenstehender an der Mimik oder der Körperhaltung sehen. Unsicher-ambivalent gebundene Menschen reagieren mit Anspannung, wenn jemand die Distanz vergrößert.

Menschen mit einem ambivalenten Bindungsmuster sind von der rechten Gehirnhemisphäre geprägt und dadurch ihren Gefühlen stärker ausgeliefert. Sie können ihre Emotionen zwar besser spüren, diese aber nicht gut regulieren, und sie neigen zu Überreaktionen oder inszenieren Dramen.

Übrigens: Die Bindungs- und Trauma Forscherin Marion Solomon fand heraus, dass ein Mensch mit einem unsicheren Bindungsmuster, der eine Beziehung mit einem sicher gebundenen Menschen eingeht, etwa vier Jahre benötigt, damit sich sein unsicheres in ein sicheres Bindungsmuster ändern kann. Es besteht also immer Hoffnung! 

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 Ein desorganisierter Bindungsstil ist in der frühen Kindheit durch eine tiefe Furcht vor der Bezugsperson entstanden, Bindungsreflex und die Überlebensreflexe wurden ständig gleichzeitig aktiviert. Wenn etwas in uns sehr häufig aktiviert wird, entsteht eine Konditionierung oder ein Aktionsmuster. Das bedeutet, dass wir später auf bestimmte Reize immer in gleicher Weise reagieren. Wenn es um uns Menschen geht, hören wir den Begriff »Konditionierung« nicht so gern, weil er unser Ego und unser Gefühl für unsere Intelligenz und unser Reflexionsvermögen infrage stellt. Wir verbinden ihn lieber mit Tieren, insbesondere den Pawlowschen Hunden. Aber auch wir Menschen sind in vielen Bereichen unseres Lebens konditioniert. Gewohnheiten sind Konditionierungen. Und auch hier überschätzen wir, wie oft wir am Tag wirklich bewusst aktive Entscheidungen darüber treffen, was wir denken, fühlen oder tun. Manchmal reibt das Leben uns unsere eigenen Konditionierungen unter die Nase. Erst dann merken wir, wie oft wir mit Autopilot - also auf konditionierten Abläufen - unterwegs sind.
Ich musste dies vor Kurzem wieder einmal zur Kenntnis nehmen. Vier Jahre lang gab es eine Abkürzung zu meiner Wohnung durch eine Reihe von Garagen. Ich nahm sie jeden Tag. Dann wurde dieser Gang durch eine Tür verschlossen. Natürlich wusste ich, dass der Weg durch die Garagen fortan nicht mehr zur Verfügung stand. Das hinderte mich jedoch nicht daran, rund sechs Wochen lang ständig vor der verschlossenen Tür zu stehen und den Weg wieder zurücklaufen zu müssen. Ein harter Schlag für mein Ego - wo ich mich doch für einen relativ bewussten Menschen halte. Inzwischen ist die Umkonditionierung abgeschlossen, und nun nehme ich brav den Umweg. Solche Beispiele kennt wohl jeder. Wer hat nicht schon einmal etwas Wichtiges in der eigenen Wohnung umgeräumt und dann ständig am falschen Platz danach gesucht?
Unser Verhalten ist eben sehr stark von Mustern geprägt. Wenn diese aktiviert sind, befolgen wir sie wie eine Regieanweisung. Je nachdem, wie positiv und förderlich diese alten Repräsentationen sind, gestaltet sich unser Leben. Sie sind nicht leicht zu verändern. Wir brauchen Geduld mit uns selbst.
Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil verzweifeln oft an sich selbst. Und ihre Partner verzweifeln an ihnen, weil ihre Reaktionen nicht einschätzbar sind. Das, was heute in Ordnung ist, kann morgen für ein Beziehungsdrama sorgen, Drama ist ein kennzeichnendes Merkmal einer Beziehung zu einem Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil.
Die frühe Prägung der Angst ist so stark, dass diese immer fühlbar wird, wenn Nähe und Intimität entstehen. Die alte Angst aktiviert den Überlebensinstinkt, der in der Kindheit angemessen war - für Erwachsene bringt dies jedoch viele Verletzungen und Frustrationen mit sich. Das beständige »Komm her - geh weg« ist für alle Beteiligten verwirrend und auslaugend. Die Betroffenen wechseln von starker Sehnsucht und dem Wunsch nach Verschmelzung zu Ablehnung, Angriff und Dissoziation. Ihr Bindungssystem ist entweder aus oder »hyper ON«.
Ein desorganisierter Bindungsstil entsteht letztlich aus traumatischen Erfahrungen. Die betroffenen Menschen brauchen eine gute und bindungsorientierte therapeutische Begleitung, weil Partner damit überfordert sind. Diese sind nicht selten nach einiger Zeit am Ende ihrer Kräfte, weil sie keine auch nur annähernd sichere, konstante Verbindung fühlen können.

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Diese Bindung steht in keinem Lehrbuch, ist jedoch immer wieder zu beobachten und verursacht viel unverstandenes Leid. Manche (Ver-)Bindungen entstehen unter traumatischen Umständen, zum Beispiel in Katastrophen oder Kriegen. Sie sind sehr eng und nah und können manchmal ein Leben lang halten oder verklärt werden. Wir kennen das von Kriegsveteranen, deren Verhältnis zu Mitgliedern ihrer militärischen Einheit manchmal enger ist als das zur eigenen Familie. Nirgendwo fühlen sie sich so verstanden wie bei ihren Kameraden.

Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass sich zwei Menschen mit einer Traumageschichte ineinander verlieben. Sie erleben dann oft den Himmel auf Erden: tiefe Verbundenheit, Sich Verstehen ohne Worte, traumhafte Nähe und das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Sie haben das Gefühl, den Partner, die Partnerin gefunden zu haben, für den sie bestimmt sind. Den Seelenverwandten.

In diesen Beziehungen liegt - wie in allen Beziehungen - viel Heilungspotenzial. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass mindestens ein Partner immer einen Schritt beiseite treten und reflektieren kann, was gerade passiert. Diese Fähigkeit geht allerdings immer verloren, wenn man innerlich von starken Gefühlen überschwemmt wird.

Das Gefühl tiefer Verbundenheit kehrt sich in traumatischen Beziehungen nach drei bis sechs Monaten häufig um, und die tiefen Verletzungen, die jeder mit in die Beziehung eingebracht hat, beginnen ihr Werk. Es kommt zu Vorwürfen, und die Liebe verwandelt sich in einen Kriegsschauplatz. Ich kann hier nur raten, sich so früh wie möglich eine kompetente dritte Person als Berater oder Therapeutin zu suchen und sich in den Untiefen dieses Beziehungsprozesses unterstützen zu lassen.

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Leider ist das Leben nicht gerecht. Auf Menschen, die schon als Kinder nicht die besten Karten hatten, kommen auch als Erwachsene die meisten Probleme, Frustrationen und Verletzungen zu. Menschen mit unsicheren Bindungsmustern gehen sind davon überzeugt, dass die neun Monate im Mutterleib schon ein eigenes, in sich abgeschlossenes Leben darstellen, das durch die Geburt beendet wird.

Wir wissen heute, dass diese Zeit uns bereits nachhaltig prägt. Im schlimmsten Fall hat unsere Mutter geraucht und Alkohol getrunken, und wir kommen bereits vergiftet und süchtig auf diese Erde. Doch die meisten von uns haben Glück, und unsere Mütter waren bemüht, während der Schwangerschaft alles richtig zu machen. Dennoch haben viele Menschen, vor allem diejenigen jenseits der 50, das Gefühl, nicht ausdrücklich erwünscht gewesen zu sein, sondern irgendwie als erfreulicher bis tragischer »Unfall« gezeugt worden zu sein.

Kinder werden aus den unterschiedlichsten Motivationen in die Welt gesetzt, und nicht alle haben etwas mit Kinderliebe zu tun. Jede dieser Motivationen prägt das Kind, da die Mutter mit den zugehörigen Gefühlen durch die Schwangerschaft geht. Es ist ein Unterschied, ob eine Frau ein Baby mit viel Freude und Liebe austrägt oder in der Hoffnung, wegen des Kindes nicht verlassen zu werden.

Wenn wir uns vorstellen, wir müssten neun Monate mit jemandem auf engstem Raum zusammensein, der uns nicht haben möchte, so ist der Gedanke daran wahrscheinlich unerträglich, besonders, wenn man einer solchen Situation nicht entfliehen kann. Babys können aber den Mutterleib nicht verlassen, wann sie wollen. Sie müssen mit allen mütterlichen Gefühlen leben —sei es Ablehnung, Angst, Freude, Glück oder regelrechter Terror. Natürlich hinterlässt jeder dieser Gefühlszustände Spuren.

Vielen Menschen ist ihr eigenes Lebensgefühl ein Rätsel, sie können sich durch ihre bewussten Erinnerungen nicht erklären, warum sie Angst vor bestimmten Ereignissen haben oder woher das grundlegend unbehagliche Lebensgefühl kommt, das sie begleitet. Manchmal lässt sich dies durch Ereignisse erklären, die während der Schwangerschaft geschahen. An dieser Stelle kommen darüber hinaus auch generationenübergreifende Aspekte ins Spiel. Wir wissen bis heute nicht genau, wie Erfahrungen von einer Generation an die andere weitergegeben werden. Wir wissen nur, dass es so ist, und zwar eben auch jenseits einer Übermittlung durch Sprache. Wir werden bereits durch die Lebenserfahrung unserer Mütter und Väter vorgeprägt; bestimmte Aspekte, die unsere Eltern tief empfunden haben, scheinen auf uns überzugehen.
bei der Suche nach Bindung oft genau umgekehrt vor wie Menschen mit sicheren Bindungsmustern. Deshalb erleben sie wesentlich häufiger Enttäuschungen. Ihr Drang, sich zu binden und endlich eine Heimat zu finden, ist so stark, dass sie unter Umständen sehr schnell Bindungen eingehen.

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Gesunde Bindungen entwickeln sich in folgenden fünf Schritten:

1. Kennenlernen

2. Sicherheit

3. Nähe

4. Bindung

5. Intimität

Menschen, die unsichere Bindungen erlebt haben, gehen oft umgekehrt vor. Sie lernen jemanden kennen, verbringen gemeinsam einen netten Abend und gehen miteinander ins Bett. Erst danach lernen sie sich gegenseitig kennen. Wenn sie dann feststellen, dass der »Partner« gar nicht liebenswert und vertrauenswürdig ist, sind sie enttäuscht. Leider haben sie dann meist ein Problem: Sie können nicht mehr einfach gehen, denn die Bindung hat schon stattgefunden.

Menschen sind generell ungeheuer bindungsbezogen. Es liegt in unserer DNA. Gut illustriert wird dies im Film Cast Away - Verschollen mit Tom Hanks. Der zweite Hauptdarsteller ist ein alter Basketball, Tom Hanks ist allein auf einer Insel gestrandet und findet diesen Basketball in den Paketen, die mit ihm angespült worden sind, Er malt ein Gesicht auf den Ball und tauft ihn Wilson. Am Ende des Films macht sich Tom Hanks auf einem Floß auf, zurück in die Zivilisation zu gelangen - und natürlich ist sein Freund Wilson dabei. Durch eine

große Welle wird Wilson vom Floß gespült und verschwindet im Meer. Diese Szene ist herzzerreißend, und ich nehme an, ich bin nicht die Einzige, der dabei die Tränen kamen. Ich weiß natürlich, dass es nur ein Film ist und dass das nur ein Basketball ist, der über Bord geht. Das interessiert mein Herz aber reichlich wenig. Die Bindung ist aufgebaut, und so leiden wir denn mit Tom Hanks am Verlust seines Freundes Wilson.

Sobald wir uns verbunden haben, empfinden wir jeden Abschied als unglaublich schmerzhaft. Wir können nicht mehr einfach gehen, auch wenn unser Verstand uns sehr glaubhaft darlegt, warum es gut für uns wäre, die andere Person wieder zu verlassen. Deshalb ist es auch so viel einfacher, eine Beziehung zu beenden, indem man sich neu verliebt. Mit einer neuen Bindung verlässt es sich leichter.

Wer seine Bindungsmuster erkannt hat, sollte also neue Strategien erlernen und sich bestimmte Regeln auferlegen. Es ist wichtig, den anderen zuerst wirklich kennenzulernen, bevor man sich bindet.

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